Donnerstag, 13. Januar 2011

Chinas harte Schule

Schüler lernen bis spätabends, ihr Leben richtet sich nach Prüfungen. Gibt der Pisa-Erfolg dem Land recht?

„Wenn ich groß bin, möchte ich als Taekwondo-Profi für China die Olympischen Spiele gewinnen oder als Polizist in Australien arbeiten“, erzählt der zehnjährige Li Junxing. Auch chinesische Schulkinder haben Träume. Ihnen bleibt aber nur selten Zeit, diesen nachzuhängen. Wie die meisten chinesischen Schüler hat Junxing einen vollgepackten Stundenplan. Auf den regulären Unterricht folgen Lerngruppen, Sprachunterricht und andere Zusatzaktivitäten. Bis 16 Uhr hat Junxing, der in die 6. Klasse eines modernen Internats geht, täglich Unterricht. Danach muss er Hausaufgaben machen. Zusätzlich bekommt er Klavierunterricht, Taekwondostunden und zweimal die Woche privaten Englischunterricht. „Ich habe schon genug Zeit zu spielen. Nur wenn Prüfungen anstehen, wird es eng“, sagt der Pekinger Schüler.

Für deutsche Verhältnisse scheint Li Junxings Lernpensum bereits hoch. Sein Zeitplan ist strikt – doch er darf abends immerhin auch mal Radio hören oder einen Film gucken. Dafür bleibt anderen chinesischen Schulkindern kaum Zeit. Denn ein normaler Schultag mit Hausaufgaben und Privatunterricht dauert oft bis 21 Uhr. „Der gesellschaftliche Druck auf unsere Kinder, aber auch auf uns Eltern, die beste Bildung für unsere Kinder zu ermöglichen, ist groß“, sagt Junxings Mutter Zhu Ying, die wie ihr Mann im Finanzbereich arbeitet. Sie weiß, dass sie ihrem Sohn viel zumutet. „Aber mit den zusätzlichen Aktivitäten wie dem Klavierspielen oder dem Taekwondo wollen wir unserem Sohn eine Welt eröffnen, die seine Schule ihm nicht bieten kann“, sagt sie. Platzierungen bei Wettbewerben seien ihr nicht so wichtig. Eine Einstellung, die wohl nur wenige chinesische Eltern teilen.

Denn ob in Peking oder in Schanghai, ob in der Schule oder beim Privatunterricht, das Ziel chinesischer Eltern bleibt das gleiche – sie alle wollen sehr gute Noten für ihre Kinder. Nur diese ermöglichen den Zugang zu guten Universitäten, Grundvoraussetzung für einen gut bezahlten Job. Bei der Bewertung der Schüler setzt Chinas Schulsystem schon bei den Jüngsten auf regelmäßige Tests. Ohne hohe Punktzahlen bleiben den Kindern die guten Mittelschulen verschlossen. Gleiches gilt in der Prüfung der 5. Klasse, die bestimmt, ob man eine der besseren Oberschulen besuchen kann. Am Ende entscheidet die wichtige Aufnahmeprüfung („Gaokao“), ob man einen Studienplatz bekommt. Deshalb lernen chinesische Kinder so intensiv für Prüfungen, deshalb konzentrieren sie sich vor allem aufs Auswendiglernen. Und deshalb ist ihr Leben ein einziger Wettbewerb.

Regelmäßige Tests und Lernen bis zur Erschöpfung. Sieht so das Bildungsmodell der Zukunft aus? Ist das eine Lehre aus der Pisa-Studie? Zum ersten Mal haben Schüler vom chinesischen Festland aus der Millionenmetropole Schanghai an der Studie teilgenommen und gleich herausragende Ergebnisse in Mathematik, Naturwissenschaften und auch beim Lesen und Verstehen von Texten erzielt. Doch während man in Europa und den USA voller Anerkennung und auch etwas überrascht auf das gute Abschneiden der chinesischen Schüler schaut, warnen chinesische Bildungsexperten davor, die Ergebnisse überzubewerten. So schreibt Jiang Xueqin, Bildungsexperte der Pekinger Universität, im „Wall Street Journal“, Chinas Schulsystem sei zwar „mit seinen fordernden Eltern, ambitionierten Schülern und seiner Testbesessenheit das strengste der Welt“. Während die Welt dieses System jetzt lobe, sei China aber gerade dabei, dessen Schwächen zu begreifen. Viele chinesische Schulen würden daran scheitern, Schüler auf eine höhere Bildung und eine wissensorientierte Wirtschaft vorzubereiten.

Eines der größten Probleme bleibe, dass die Schüler zu sehr aufs Auswendiglernen getrimmt werden. „Wie kann man eine starke Vorstellungskraft und Kreativität entwickeln, wenn man nur auswendig lernen darf, was in den Lehrbüchern steht. Wenn einem gesagt wird, dass es nur eine richtige Antwort auf eine Frage gibt“, heißt es in einem Kommentar der Zeitung „China Daily“, im Dezember kurz nach der Bekanntgabe der Pisa-Ergebnisse. Auf Kosten einer glücklichen Kindheit würden chinesische Kinder zu professionellen Prüflingen herangezogen. Glaubt man der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), hat Chinas Regierung einige Fehlentwicklungen im Bildungssystem erkannt. „In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat sich die chinesische Politik darum bemüht, die Prüfungsorientierung des Systems zu mindern“, heißt es in einem Dokument der OECD, das sich mit dem chinesischen Bildungssystem befasst. Auch den Arbeitsaufwand der Schüler versuche China zu reduzieren.

Doch ebenso wie chinesische Experten kommt auch die OECD zu dem Schluss, dass diese Anstrengungen bisher noch nicht genügend gefruchtet haben. Ein Blick in den Alltag von chinesischen Schulkindern genügt, um sich davon zu überzeugen. „An manchen Tagen schlafen mir die Kinder im Unterricht ein. So erschöpft sind sie“, sagt Lu Hua, die an einer der vielen privaten Sprachschulen in Peking Englisch unterrichtet. Schon Dreijährigen habe sie Englisch beibringen sollen, die noch kaum ihre eigene Sprache beherrschten. Großer Leistungsdruck und eine Prüfungsorientierung, die jegliche Kreativität verhindern – abgesehen von diesen Fehlern im System darf auch nicht übersehen werden, dass an dem Pisa-Test lediglich Schüler aus Schanghai und aus Hongkong teilgenommen haben. In der Pisa-Studie wird deutlich ausgewiesen, dass die Ergebnisse nicht für ganz China gelten, sondern nur für diese beiden Regionen. Doch diese sind bei weitem nicht repräsentativ für das ganze Land. Schanghai hat als reiche Hafenstadt für das chinesische Festland traditionell immer eine Vorreiterrolle eingenommen, kann viel Geld in Bildungseinrichtungen fließen lassen.

Auch der Pisa-Chef bei der OECD, Andreas Schleicher, sagt, in Schanghai sei jetzt schon zu beobachten, wie es in Gesamtchina in zwanzig Jahren aussehen werde. Videostudien von Schulstunden in Schanghai hätten ergeben, dass der Unterricht nicht mehr aufs Pauken von Faktenwissen reduziert sei. Vielmehr werde „anspruchsvoller“ Unterricht gegeben, der weit über das bloße Reproduzieren von Wissen hinausgehe. Lehrer würden individuell auf die Bedürfnisse ihrer Schüler eingehen. Daher sei es nicht verwunderlich, dass Schüler bei der Pisa-Studie gut abschneiden, die ja gerade nicht Fakten abfragt, sondern herausfinden will, wie Schüler Wissen anwenden können. Hongkong, dessen Schüler den vierten Platz bei Pisa belegten, ist ein noch offensichtlicherer Sonderfall. Mit seiner Vergangenheit als britische Kronkolonie gilt auch bei der Bildung das Motto „ein Land, zwei Systeme“. Mögen einige andere chinesische Großstädte noch an dieses Spitzenniveau heranreichen – die Bedingungen in den ländlichen Regionen sehen deutlich schlechter aus.

Die ungleiche Verteilung der Bildungschancen hat nicht nur eine geographische Komponente, sondern auch eine soziale. Etwa 30 Millionen Wanderarbeiterkinder im schulfähigen Alter gibt es laut OECD, deren Eltern auf der Suche nach Arbeit in chinesische Großstädte strömen. Zwei Drittel dieser Kinder kommen mit ihren Eltern in die Großstädte, während etwa zehn Millionen bei Verwandten in den Heimatdörfern zurückgelassen werden. Die Wanderarbeiterkinder in den Großstädten haben zwar gute Schulen vor ihrer Haustür, dürfen diese aber nicht immer besuchen. Weil sie wie ihre Eltern keine Stadtbürgerschaft (Hukou) besitzen, werden sie in vielen Metropolen von Sozialleistungen – wie einem kostenlosen Schulbesuch – ausgeschlossen. Für den Schulbesuch ihrer Kinder haben Wanderarbeiter zudem häufig kein Geld. Zwar will Chinas Führung die Situation verbessern. Doch der Fortschritt kommt nur langsam. Zumindest für die Hauptstadt Peking hat eine Initiative aus Bürgerrechtlern und Eltern nach langen Protesten erreicht, dass jedes Kind, egal ob es ein Hukou besitzt oder nicht, zur Schule gehen kann – einschließlich der Mittelschule. Der Zugang zur Universität in Peking ist Wanderarbeiterkindern aber noch immer versperrt.

www.tagesspiegel.de

Die Welt im Angebot

Mit seinem wirtschaftlichen Expansionskurs gewinnt China im Ausland an Einfluss.

Für zwei Milliarden Dollar übernimmt der chinesische Staatskonzern Bluestar den norwegischen Siliziumhersteller Elkem. Solarmodule, Computer oder Mobiltelefone – für die Herstellung solcher Produkte benötigt man Silizium. Vordergründig ist die Übernahme, die zu Beginn der Woche bekannt wurde, nicht mehr als eine kurze Unternehmensnachricht. Doch sie sagt viel darüber aus, wie China weltweit Geschäfte macht. Denn mit der Übernahme sichert sich der chinesische Konzern vor allem europäisches Fachwissen für die heimische Solarindustrie. Doch auch der Blick auf den chinesischen Konzern Bluestar selbst lohnt sich, um zu erkennen, wie stark China sich im Ausland wirtschaftlich engagiert. Der Konzern ist fest in staatlicher Hand, lediglich der US-Finanzinvestor Blackstone hält einen kleinen Anteil. An Blackstone wiederum ist China beteiligt. Dass chinesische Investoren weltweit vertreten sind, überrascht mittlerweile kaum jemanden mehr. Doch der Expansionskurs beeindruckt vor allem den Westen. Während dieser noch immer mit den Auswirkungen der Finanzkrise zu kämpfen hat, ist China deutlich besser durch die diese gekommen. 2010 vermutlich zur weltweit zweitgrößten Wirtschaftsmacht nach den USA herangewachsen, hat die Volksrepublik deutlich an Selbstbewusstsein und finanzieller Schlagkraft gewonnen. Mit großer Selbstverständlichkeit kaufen chinesische Konzerne, gestützt von staatlicher Seite, westliche Unternehmen. Ein prominenteres Beispiel - im März 2010 übernahm der chinesische Geely-Konzern den schwedischen Autobauer Volvo, verschafft sich so Zugang zu neuester Technologie und europäischen Märkten.

Immer selbstbewusster treten China und dessen Unternehmen auf. Dieses Selbstbewusstsein stützt sich auch auf die riesigen Devisenreserven, die das Land angehäuft hat. Am Dienstag verkündete die Zentralbank in Peking, dass die Reserven im vergangenen Jahr um 18,7 Prozent auf 2,85 Billionen US-Dollar (rund 2,2 Billionen Euro) gestiegen seien. Auf zehn Prozent wird das Wirtschaftswachstum für 2010 geschätzt, erreicht damit Höhen von denen man in die USA und Europa nur träumt. Aus dieser starken Position heraus kauft sich China schon seit Längerem im Westen ein, besitzt Anteile an US-Großbanken wie Fannie Mae und Freddie Mac, der Barclays Bank oder eben dem Finanzinvestor Blackstone. Spätestens in der weltweiten Finanzkrise, die 2008 ihren Anfang in den USA hatte, beginnt China sein Image als Retter in der Not zu etablieren.

Und Peking wird immer mehr zum Geldgeber eines strauchelnden Westens. Auch in der aktuellen Eurokrise, springt China ein. Ob Griechenland, Portugal, Italien oder Irland. Die chinesische Führung vergibt großzügig Kredite und kauft sich über Staatsanleihen in Europa ein. Erst Anfang Januar kündigte man an, weitere spanische Anleihen kaufen zu wollen. „Wir sind ein zuverlässiger und langfristiger Investor und setzen deshalb auf den Finanzplatz Spanien“, erklärte der chinesische Vize-Premierminister Li Keqiang in Madrid. Li kündigte außerdem an, mehr europäische Staatsanleihen kaufen zu wollen. Die Gründe für Chinas Hilfeleistungen sind vielfältig, aber keinesfalls selbstlos. Denn noch ist man in hohen Maßen von den Exporten abhängig, die EU der wichtigste Außenhandelspartner des Landes. Hinzu kommt, dass China etwa ein Viertel seiner Devisenreserven in Euro angelegt hat. Deshalb, und weil man sich langfristig ein gutes Geschäft mit den europäischen Staatsanleihen verspricht, stützt China den Euro. Daneben hofft die Führung in Peking mit ihrem wirtschaftlichen Engagement auch politischen Einfluss innerhalb der EU zu gewinnen. So will man eigene Interessen durchsetzen. Dabei mehren sich seit Längerem die Stimmen, die den wachsenden Einfluss Chinas in der EU kritisieren. Ende 2010 hatte sich EU-Kommissar Karel De Gucht über die Einflussnahme Pekings beschwert. Die EU-Kommission sah schon damals mit Sorge, wie Chinas Führung Druck auf Mitgliedstaaten ausübte, damit sie gegen Strafzölle auf chinesische Dumpingware stimmen.

Doch die chinesische Führung und ihre Staatsunternehmen haben den Blick nicht nur nach Westen gerichtet. Außer bei benachbarten Handelspartnern in Asien, kann Chinas Expansionskurs am Besten in Afrika beobachtet werden. Zwischen 2000 und 2008 hat sich das Handelsvolumen zwischen China und Afrika von 10,6 auf 106,8 Milliarden US-Dollar verzehnfacht. Seit 2010 ist die Volksrepublik wichtigster Handelspartner des afrikanischen Kontinents, verfolgt vor allem ein Ziel. „Natürlich geht es um Rohstoffe“ sagt der Experte David Engelhardt vom Institut für Afrikanistik der Universität Leipzig. Auch der Handel mit Maschinen, Textilien und Transportgütern sei bedeutend. China investiert massiv in den Kontinent, verwirklicht prestigeträchtige Infrastrukturprojekte und verschafft sich so Zugang zum afrikanischen Markt. Straßenprojekte in Kenia, Flughafenausbau in Algier oder der Merowe-Staudamm im Sudan – China leistet Aufbauhilfe. Ob es dabei Simbabwes Autokraten Robert Mugabe unterstützt oder den sudanesischen Präsidenten Omar al Baschir, der für Kriegsverbrechen in der Region Darfur verantwortlich gemacht wird, China kümmert sich nicht um den Leumund seiner Geschäftspartner. Als „selbstlose Hilfe“ bezeichnete Kenias Präsident Kibaki Chinas Engagement für sein Land einst. Doch Afrika soll vor allem Chinas Energiehunger stillen, um das chinesische Wachstum anzuheizen. Doch das Engagement nützt nicht nur den Chinesen. „Viele afrikanischen Länder bestätigen, dass durch das chinesische Engagement eine neue Wirtschaftsdynamik entstanden ist“, sagt Margot Schüller vom GIGA Institut für Asien-Studien. Die wachsende Nachfrage Chinas nach Energie und Rohstoffen habe die Preise erhöht, die Einkommenschancen der Länder verbessert. Völlig reibungslos wirtschaften chinesischen Unternehmen in Afrika allerdings nicht. Zumindest in der Bevölkerung sind chinesische Arbeitgeber häufig unbeliebt, weil sie nicht selten unter miserablen Bedingungen und zu Hungerlöhnen produzieren lassen. Auch anderswo hat die Volksrepublik ein Imageproblem. Denn viele Staaten mögen zwar von Chinas globaler Expansion profitieren, doch die aufstrebende Wirtschaftsmacht aus China wird vor allem im Westen immer häufiger als Konkurrent gefürchtet. Zur gewaltig ist dessen Wirtschaftskraft, zu selbstbewusst treten Chinas Führer auf, um diese nicht ernst zu nehmen.

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