Samstag, 5. März 2011

Zwischen Machtdemonstration und Nervosität

Für Chinas Führung ist es das wichtigste Ereignis des Jahres. Etwa 3000 Delegierte des Nationalen Volkskongresses, offiziell das höchste Staatsorgan des Landes, kommen jedes Jahr im März in Peking zusammen, um die Arbeit der chinesischen Regierung zu bestätigen. Viel Kritik oder gar Ablehnung muss diese von den Delegierten nicht befürchten. Die heute beginnende rund zweiwöchige Tagung ist lediglich ein politisches Ritual der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh). Denn alle wichtigen Entscheidungen sind bereits in den engen Führungszirkeln der KPCh gefallen. Dennoch birgt die diesjährige Sitzung des Volkskongresses einige Spannung. Zum Einen, weil auf diesem auch der neue 5-Jahres-Plan verabschiedet wird, der die politische und wirtschaftliche Entwicklung des Landes skizziert. Zum Anderen, weil unbekannte Organisatoren für Sonntag erneut zu „Jasmin-Protesten“ für mehr Demokratie aufgerufen haben. Und das unweit der Großen Halle des Volkes im Zentrum der Stadt, wo die Delegierten des Volkskongresses tagen. Mit einem Großaufgebot an Sicherheitskräften werden Chinas Behörden auch diesmal jeden Protest im Keim ersticken.

Nichts soll die Inszenierung des politischen Großereignisses stören, auf dem Chinas Führung seine politischen Visionen bekannt gibt. Als größte Aufgabe hat sie sich den Umbau der Wirtschaft vorgenommen. Innerhalb der nächsten fünf Jahre soll die Exportabhängigkeit des Landes verringert und die Binnennachfrage gestärkt werden. Daneben will China von seinem Status als Billiglohnland wegkommen, hin zum Produzenten von hochwertigen Produkten. Der Umstrukturierung liegt die Warnung von Regierungschef Wen Jiabao zugrunde, dass Chinas Wirtschaft „instabil, unausgewogen, unkoordiniert und letztendlich nicht aufrechtzuerhalten“ sei. Aus diesem Grund soll die Wirtschaftskraft gebremst werden und in den nächsten fünf Jahren nur noch mit sieben Prozent jährlich wachsen. Schon im Vorfeld des Volkskongresses hatten zahlreiche chinesische Spitzenpolitiker betont, dass man kein Wachstum um jeden Preis anstrebe. „Wir müssen den Kuchen nicht nur größer machen, sondern auch gerechter verteilen, damit jeder die Früchte der Reform und Öffnung ernten kann", sagte Wen Jiabao.

Mit Sorge betrachtet die chinesische Führung die Entwicklung des Landes. Denn trotz anhaltenden Wirtschaftswachstums, hat China mit gravierenden Problemen zu kämpfen. Die rasante Inflation, besonders steigende Lebensmittel- und Immobilienpreise sorgen für Unmut in der Bevölkerung. Besonders die Landbevölkerung trifft die Preissteigerung hart. Denn deren Einkommen beträgt gerade einmal ein Drittel im Vergleich zu dem der Stadtbewohner. Noch immer klafft die Schere zwischen Arm und Reich weit auseinander. Deshalb will die Regierung niedrige Einkommen anheben. Allerdings konnten bisherige Anhebungen der Mindestlöhne die rasante Kostensteigerung im Land nicht ausgleichen. Auch Reformen bei der Renten- und Krankenversicherung werden seit langem abgekündigt, tiefgreifende Fortschritte lassen weiter auf sich warten. Dabei gehört soziale Sicherheit nach aktuellen Umfragen neben den massiven Preissteigerungen und den überteuerten Wohnungen durch die Blase am Immobilienmarkt zu den Hauptsorgen der Menschen.

Es ist eine lange Liste an Problemen, mit denen Chinas Führung zu kämpfen hat, um die Wirtschaft des Landes in die richtige Bahn zu lenken. Und nur wenn der Umbau gelingt und mehr Chinesen von dem Aufschwung profitieren, ist auch die Stabilität des Landes gewährleistet. Wohl deshalb reagieren die Machthaber in Peking derzeit auf jede Form des Protests so nervös. Obwohl die Internetaufrufe zu „Jasmin-Protesten“ nach arabischem Vorbild in China bisher nur geringen Zulauf gefunden haben, reagieren die Sicherheitsbehörden mit einer beispiellosen Machtdemonstration. Dutzende Bürgerrechtler wurden festgenommen, stehen unter Hausarrest, wurden eingeschüchtert oder verschleppt. Bürgerrechtler bewegten sich in einem „feindlichen und gefährlichen Umfeld“, berichtete Organisation Chinese Human Rights Defenders (CHRD) in ihrem Jahresbericht am Donnerstag.

Gleichzeitig versuchen die chinesischen Behörden auch eine kritische Berichterstattung ausländischer Journalisten zu verhindern. Die Polizei wies Korrespondenten an, künftig die Genehmigung örtlicher Stellen einholen zu müssen, bevor sie Interviews machen oder die Berichterstattung aufnehmen könnten. Das bisher zuständige Außenministerium beharrte hingegen darauf, dass die alten Regeln weiter gelten, wonach nur die Zustimmung des Interviewten nötig sei. Die Polizeibehörde hatte sich zuvor für zuständig erklärt und bei „Verstößen“ sogar mit Haft und Ausweisung gedroht. Wegen der neuen Einschüchterungsversuche gegen ausländische Korrespondenten in China hat die Bundesregierung den chinesischen Gesandten in Berlin ins Auswärtige Amt zitiert. Außenminister Guido Westerwelle verurteilte bereits am Donnerstag das Vorgehen und verlangte die „ungehinderte und freie“ Berichterstattung für die im Land akkreditierten deutschen Journalisten.

www.tagesspiegel.de

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