Samstag, 9. April 2011

Unter keinem guten Stern

Ai Weiwei bleibt vorerst verschwunden. Doch offenbar ist sich die Führung in Peking nicht einig, wie man mit dem berühmten Künstler verfahren soll. Die Menschrechtslage in China verschärft sich unterdessen weiter.

Noch immer gibt es keine Auskünfte über Ai Weiweis Verbleib. Seit letztem Sonntag ist der bekannte chinesische Künstler nun verschwunden, nachdem ihn Grenzpolizisten am Pekinger Flughafen abgeführt hatten. „Ich bin sehr besorgt. Die Polizei sagt mir nicht wie es ihm geht, warum er festgenommen wurde. Noch nicht einmal wo er ist, sagen sie mir“, erklärt Lu Qing, Ai Weiweis Frau, die sich am Donnerstag verzweifelt an ausländische Journalisten gewandt hatte. Die 79-jährige Mutter des Künstlers brachte die Sorge um ihren Sohn auf einem handgeschriebenen Zettel zum Ausdruck. „Ai Weiwei, männlich, 53 Jahre alt. Ist am 3.4.2011 gegen 8:30 Uhr am Flughafen von zwei Männern abgeführt worden. Falls sie wissen, wo er ist, rufen Sie seine Familie an“, heißt es in der Vermisstenanzeige, die Gao Ying an der Mauer ihres Hofhauses aufgehängt hat. Mittlerweile hat sich ein Foto der Anzeige über Mikroblogs im Internet verbreitet, ist zum Symbol der Empörung zahlreicher chinesischer Internetnutzer geworden – der Zensur zum Trotz.

Mit ihrer Weigerung, über Ai Weiweis Aufenthalt zu informieren, verstößt die Polizei auch gegen chinesisches Gesetz. „Sie hätten die Gründe für Ais Inhaftierung schon innerhalb von 48 Stunden angeben müssen“, erklärte Liu Xiaoyun, ein mit dem Künstler befreundeter Anwalt gegenüber der Hongkonger Zeitung „South China Morning Post“. Doch dieses Recht gilt offenbar nicht für Regimekritiker. Während die Polizei im Fall Ai Weiwei beharrlich schweigt, mehren sich die Anzeichen, dass gegen den Künstler ein Prozess vorbereitet wird. Auf der regelmäßigen Pressekonferenz des Außenministeriums in Peking bestätigte ein Sprecher eine vorangegangene Meldung der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua, laut der Ai „Wirtschaftsverbrechen“ zur Last gelegt werden. „Der Fall Ai Weiwei wird von der Polizei nach den Gesetzen des Landes untersucht“, sagte Hong Lei, Sprecher des Außenministeriums am Donnerstagnachmittag vor der Presse. Die Ermittlungen hätten nichts mit Menschenrechten oder Redefreiheit zu tun. Weitere Informationen zur Festnahme des Künstlers verweigerte der Sprecher. Ein Mitarbeiter Ai Weiweis bezeichnete den erhobenen Vorwurf gegenüber dem Tagesspiegel als „völlig absurd“.

Offenbar scheint man sich auch in den Führungszirkeln der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) nicht mehr ganz sicher, ob das Vorgehen gegen Ai Weiwei eine gute Idee ist. Hatte die englischsprachige Ausgabe der Zeitung „Global Times“, die als Sprachrohr der KPCh dient, noch am Mittwoch gegen Ai Weiwei gewettert und dessen Verhaftung gerechtfertigt, schlug die Staatszeitung am Freitag mildere Töne an. „Der Vorwurf der mutmaßlichen Wirtschaftsverbrechen bedeutet ja nicht, dass Ai für schuldig befunden wird“, heißt es in einem Kommentar der Zeitung. Druck aus dem Westen dürfe bei der Entscheidung des Gerichts aber keine Rolle spielen. Doch es scheint so, als hätten die scharfen Proteste aus dem Ausland zumindest einen gewissen Einfluss auf den Fall Ai Weiwei. Der neue Artikel stützt außerdem die Meinung von Beobachtern in Peking, die innerhalb der Führungsriege der KPCh einen Machtkampf zwischen Hardlinern und gemäßigten Kräften vermuten. Hinzu kommt, dass Ai Weiweis Vater in China noch großes Ansehen genießt. Ai Qing war ein berühmter Künstler und kommunistischer Vordenker – das harte Vorgehen gegen seinen Sohn dürfte einigen Funktionären missfallen. Welche Bedeutung all das für Ai Weiweis Schicksal hat, lässt sich noch schwer abschätzen.

Denn mit seinen vielen kritischen Interviews und Aktionen hat der Gegenwartskünstler und Internetaktivist, dessen Wirken eng mit Widerstand und Kritik verknüpft ist, die Regierung in Peking gegen sich aufgebracht. Als er mit freiwilligen Helfern eine Liste von Kindern ins Internet stellte, die beim Erdbeben in Sichuan 2008 getötet wurden, erntete er viel Aufmerksamkeit. Tausende Kinder starben damals, weil ihre Schulen auf Grund von Korruption und Schlamperei in minderwertiger Qualität errichtet wurden. Ai wollte aufklären und erntete den Zorn der Behörden. Doch Ai Weiwei ist nicht allein. Die Liste der Bürgerrechtler, die verfolgt und unterdrückt werden, wird immer länger. Anwälte, Umweltaktivisten, Intellektuelle und einfache Chinesen, die gegen Korruption und Misswirtschaft aufbegehren, geraten schnell an die von Chinas Machthabern häufig beschworene „rote Linie des Rechts“. In China gibt es derzeit so viele „rote Linien“, dass sich kritische Geister kaum noch bewegen können. Die Führung in Peking und ihre Parteifunktionäre biegen die Gesetze zurecht, wie es ihnen gerade beliebt. Als schlafende Schönheit bezeichnete eine bekannte Pekinger Bürgerrechtsanwältin vor Kurzem Chinas Rechtssystem. Die Gesetze sind vorhanden, sie werden nur gar nicht oder nach Belieben der Herrschenden angewendet.

Seit der Vergabe des Friedensnobelpreises an Liu Xiaobo, spätesten aber seitdem im Internet anonyme Aufrufe zur „Jasmin-Revolution“ nach arabischem Vorbild verbreitet wurden, geht Chinas Führung verstärkt gegen Regimekritiker vor – offenbar getrieben von der irrationalen Angst, dass der Revolutionsfunke auf das eigene Land überspringen könnte. Die kleinen Fortschritte in der Zivilgesellschaft, die China mit den Olympischen Spielen zweifellos gemacht hat, wurden praktisch wieder außer Kraft gesetzt. „Amnesty International“ bezeichnete die Inhaftierung Ai Weiweis zu Wochenbeginn als eine „weitere Verschärfung der Lage“. Allein in den letzten Tagen wurden laut der Menschenrechtsorganisation „Chinese Human Rights Defenders (CHRD)“ 30 Bürgerrechtler festgenommen, zahlreiche Menschen werden vermisst. Am Donnerstag verhaftete die Polizei erneut zwei Bürgerrechtler. Die Anwältin Ni Yulan und ihr Partner Dong Jiqin wurden wie Ai Weiwei ohne Angabe von Gründen festgenommen. Ni hat bereits zwei Jahre in Haft verbracht. Sie hatte Familien vertreten, die gegen Zwangsumsiedlungen klagten. Ende März sorgte die Verurteilung des Bürgerrechtlers Liu Xianbin zu der hohen Haftstrafe von zehn Jahren für Aufsehen. Seine Rufe nach Freiheit und Demokratie wertete ein Gericht als schweres Verbrechen. Wie in so vielen Fällen verurteilte das Gericht den Aktivisten auf Grund des diffusen Tatvorwurfs der „Untergrabung der Staatsgewalt“. Eine gängige Praxis, um das in der chinesischen Verfassung vorhandene Recht auf freie Meinungsäußerung auszuhöhlen.

Ob auch Ai Weiwei eine langjährige Haftstrafe droht, bleibt weiter offen. Die wenig konkrete Anschuldigung, Ai habe „Wirtschaftsverbrechen“ begangen, wirkt äußerst konstruiert. Offenbar tun sich die Behörden schwer, den Vorwurf zu untermauern. Am Freitag durchsuchten Polizeibeamte erneut Ais Atelier. Bei einer ersten Hausdurchsuchung hatten Beamte Computer und Dokumente beschlagnahmt. Wann es zum Prozess kommen könnte, ist bisher noch völlig unklar. Weiterhin verschweigen die Behörden, wo der Künstler inhaftiert wurde. Seiner Familie bleibt lediglich die Hoffnung auf ein baldiges Lebenszeichen von ihm.

www.tagesspiegel.de

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