Kein Platz für Geschichte
Pekings traditionelle Wohnhäuser drohen endgültig aus dem Stadtbild zu verschwinden. Aktivisten versuchen derzeit, die Zerstörung eines der ältesten Areale der Stadt zu verhindern.
Auf dem Platz hinter dem Glockenturm spielen ein paar alte Männer Mahjong. In Unterhemd und kurzer Hose trotzen sie der Sommerhitze Pekings. Um die Männer herum hat sich eine Gruppe Menschen gebildet, die über den Spielverlauf diskutieren. Ein Fleischspießverkäufer heizt seinen Grill an, während eine Frau etwas weiter die Gasse hinunter ihre Wäsche vor ihrer Wohnung aufhängt. Das Areal um den berühmten Glocken- und Trommelturm ist eines der ältesten in Peking und auch eines der lebendigsten. Über hunderte Jahre hat sich das Wohnviertel auf natürliche Weise entwickelt. Hier in den schmalen Gassen zwischen den traditionellen Hofhäusern kann man noch so etwas wie ein authentisches Lebensgefühl Pekings spüren. Gleichzeitig lässt sich die lange Geschichte der chinesischen Hauptstadt erahnen. Doch was vor allem westlichen Touristen gefällt, ist der zuständigen Stadtverwaltung offensichtlich ein Dorn im Auge. Zu alt, zu ärmlich und zu dreckig ist den Stadtplanern das Viertel in der Innenstadt. Deshalb hat man schon vor einiger Zeit dessen Neugestaltung angekündigt. Ein historischer Themenpark soll entstehen, in dem neben Sehenswürdigkeiten auch Einkaufspassagen und Parkhäuser Platz finden sollen. Dafür werden die meisten der traditionellen Wohnhäuser weichen müssen. Etwas weiter nördlich des Glocken- und Trommelturmareals ist das schon geschehen. Für den Bau einer neuen U-Bahnstation wurden zahlreiche Häuser niedergerissen.
Die meisten Bewohner, die direkt an den Türmen wohnen, sehen die Neubaupläne der Stadtverwaltung allerdings eher gelassen. „Ach, seit Jahren wird schon erzählt, dass das Viertel abgerissen werden soll. Passiert ist bisher nichts“, sagt der Gemüsehändler, Herr Chen, der seinen vollen Namen lieber nicht preisgeben möchte. Und Liu Zhihe, der zusammen mit zwei Nachbarn auf einem Hocker draußen an einer kleinen Straße sitzt, glaubt eh nicht, dass es sich lohnt über die Pläne zu diskutieren. „Es macht ja keinen Unterschied, was ich darüber denke“, sagt der alte Mann. „Wenn die Regierung entscheidet, dass die Häuser hier weg müssen, dann lässt sich daran nicht rütteln“, so Liu.
Doch es gibt durchaus Menschen, die den Abriss des historischen Wohnviertels nicht hinnehmen wollen. Und sie konnten tatsächlich einen kleinen Erfolg erzielen. „Wir haben früh damit begonnen, die Medien für das Thema zu interessieren. Die Berichterstattung hat uns soviel Aufmerksamkeit gebracht, dass das Projekt vorerst gestoppt wurde“, sagt Zhang Pei vom Beijing Cultural Heritage Protection Center (CHP). Die Nichtregierungsorganisation arbeitet derzeit an einem „Weißbuch“ mit Vorschlägen für den Erhalt und die Entwicklung des Trommelturmviertels. „Wir hoffen, wir können das Gesamtbild des Areals erhalten, den Respekt vor dem kulturellem Erbe und den Bewohnern bewahren“, so Zhang.
Um dieses Ziel tatsächlich umsetzten zu können, werden die Denkmalschützer bei den zuständigen Behörden noch einige Überzeugungsarbeit leisten müssen. Denn Neugestaltung bedeutet in Peking bisher meist den kompletten Abriss und Neuaufbau ohne jeden historischen Wert. Wie das Areal um den Glocken- und Trommelturm dann aussehen könnte, lässt sich am Besten in der ‚restaurierten’ Straße „Qianmen Dajie“ hinter dem Stadttor am südlichen Ende des Platzes des Himmlischen Friedens beobachten. Auf Hochglanz poliert, sauber und steril wirkt die Straße, wie eine Filmkulisse, wie eine künstliche Version traditioneller Stadtkultur, der die Bewohner abhanden gekommen sind. Nur Touristen verirren sich hier her. Und dass hauptsächlich, um bei H&M einzukaufen und danach einen Kaffee bei Starbucks zu trinken.
Während der Kampf um das historische Areal am Glocken- und Trommelturm noch nicht verloren ist, sieht es für den Rest der Hauptstadt düster aus. In den letzten Jahren sind circa zwei Drittel der etwa 3000 noch verbliebenen historischen Gassen (Hutongs) abgerissen worden, obwohl viele von ihnen offiziell als erhaltenswert eingestuft wurden. So geht die kulturellen Identität und Individualität Pekings langsam verloren. Die Entwicklung zur modernen Metropole steht an erster Stelle. Viele historische Gebäude fallen der Macht der Immobilienfirmen, dem Hunger nach Wohn- und Büroraum zum Opfer. Doch Peking ist nur ein prominentes Beispiel für einen Modernisierungstrend, der das ganze Land erfasst hat.
Mehr als die Hälfte der existierenden Wohnstruktur in China soll in den nächsten 20 Jahren abgerissen und wieder aufgebaut werden. Das erklärte Chen Huai, vom Ministerium für Wohnungswesen und Entwicklung von Stadt und Land kürzlich. Betroffen seien Gebäude, die vor 1999 errichtet wurden. „Einige historischen Bauten, die Schutz verdienen, werden von der Abrissbirne verschont bleiben“, so Chen. Tatsächlich wurde auf historische Bausubstanz in den meisten Städten Chinas bisher kaum Rücksicht genommen. „Auf der Jagd nach Profit wird der Wert unseres kulturellen Erbes vielerorts einfach ignoriert“, sagt Zhang Pei vom CHP. Im Boomland China geht der Blick nach vorn. Mit der Wirtschaft wachsen auch die Städte des Landes und reißen alles Alte mit sich. Als ein „Desaster für den Schutz von historischen Relikten“ bezeichnete Shan Jixiang, Chef der staatlichen Behörde für Denkmalschutz, die massive Neugestaltung historischer Städte. „Viel von unserer traditionellen Architektur, die von Generation zu Generation weiter gegeben wurde, ist rücksichtslos beseitigt worden“, so Shan. Der Kampf um den Schutz von Chinas kulturellem Erbe sei in seiner kritischsten Phase angelangt.
Auch wenn es ein ziemlich aussichtloser Kampf zu sein scheint, den chinesische Denkmalschützer gerade austragen – zumindest innerhalb Pekings wird der Widerstand gegen die blinde Modernisierungswut langsam stärker. „Mit Hilfe der Medien, aber auch durch Veranstaltungen versuchen wir, den Menschen die Bedeutung unseres historischen Erbes begreiflich zu machen“, so Zhang Pei vom CHP. Sie hofft, das Areal um den Glocken- und Trommelturm zu erhalten, ohne es seiner historischen Identität zu berauben. Dann könnte das Projekt Vorbildcharakter für andere historische Orte haben. Zumindest vorerst ist über die Zukunft des Viertels aber nicht endgültig entschieden worden. Und mit ein bisschen Glück behalten ja sogar die Anwohner Recht, die glauben, dass sich an ihrem Viertel so schnell nichts ändern wird.
Auf dem Platz hinter dem Glockenturm spielen ein paar alte Männer Mahjong. In Unterhemd und kurzer Hose trotzen sie der Sommerhitze Pekings. Um die Männer herum hat sich eine Gruppe Menschen gebildet, die über den Spielverlauf diskutieren. Ein Fleischspießverkäufer heizt seinen Grill an, während eine Frau etwas weiter die Gasse hinunter ihre Wäsche vor ihrer Wohnung aufhängt. Das Areal um den berühmten Glocken- und Trommelturm ist eines der ältesten in Peking und auch eines der lebendigsten. Über hunderte Jahre hat sich das Wohnviertel auf natürliche Weise entwickelt. Hier in den schmalen Gassen zwischen den traditionellen Hofhäusern kann man noch so etwas wie ein authentisches Lebensgefühl Pekings spüren. Gleichzeitig lässt sich die lange Geschichte der chinesischen Hauptstadt erahnen. Doch was vor allem westlichen Touristen gefällt, ist der zuständigen Stadtverwaltung offensichtlich ein Dorn im Auge. Zu alt, zu ärmlich und zu dreckig ist den Stadtplanern das Viertel in der Innenstadt. Deshalb hat man schon vor einiger Zeit dessen Neugestaltung angekündigt. Ein historischer Themenpark soll entstehen, in dem neben Sehenswürdigkeiten auch Einkaufspassagen und Parkhäuser Platz finden sollen. Dafür werden die meisten der traditionellen Wohnhäuser weichen müssen. Etwas weiter nördlich des Glocken- und Trommelturmareals ist das schon geschehen. Für den Bau einer neuen U-Bahnstation wurden zahlreiche Häuser niedergerissen.
Die meisten Bewohner, die direkt an den Türmen wohnen, sehen die Neubaupläne der Stadtverwaltung allerdings eher gelassen. „Ach, seit Jahren wird schon erzählt, dass das Viertel abgerissen werden soll. Passiert ist bisher nichts“, sagt der Gemüsehändler, Herr Chen, der seinen vollen Namen lieber nicht preisgeben möchte. Und Liu Zhihe, der zusammen mit zwei Nachbarn auf einem Hocker draußen an einer kleinen Straße sitzt, glaubt eh nicht, dass es sich lohnt über die Pläne zu diskutieren. „Es macht ja keinen Unterschied, was ich darüber denke“, sagt der alte Mann. „Wenn die Regierung entscheidet, dass die Häuser hier weg müssen, dann lässt sich daran nicht rütteln“, so Liu.
Doch es gibt durchaus Menschen, die den Abriss des historischen Wohnviertels nicht hinnehmen wollen. Und sie konnten tatsächlich einen kleinen Erfolg erzielen. „Wir haben früh damit begonnen, die Medien für das Thema zu interessieren. Die Berichterstattung hat uns soviel Aufmerksamkeit gebracht, dass das Projekt vorerst gestoppt wurde“, sagt Zhang Pei vom Beijing Cultural Heritage Protection Center (CHP). Die Nichtregierungsorganisation arbeitet derzeit an einem „Weißbuch“ mit Vorschlägen für den Erhalt und die Entwicklung des Trommelturmviertels. „Wir hoffen, wir können das Gesamtbild des Areals erhalten, den Respekt vor dem kulturellem Erbe und den Bewohnern bewahren“, so Zhang.
Um dieses Ziel tatsächlich umsetzten zu können, werden die Denkmalschützer bei den zuständigen Behörden noch einige Überzeugungsarbeit leisten müssen. Denn Neugestaltung bedeutet in Peking bisher meist den kompletten Abriss und Neuaufbau ohne jeden historischen Wert. Wie das Areal um den Glocken- und Trommelturm dann aussehen könnte, lässt sich am Besten in der ‚restaurierten’ Straße „Qianmen Dajie“ hinter dem Stadttor am südlichen Ende des Platzes des Himmlischen Friedens beobachten. Auf Hochglanz poliert, sauber und steril wirkt die Straße, wie eine Filmkulisse, wie eine künstliche Version traditioneller Stadtkultur, der die Bewohner abhanden gekommen sind. Nur Touristen verirren sich hier her. Und dass hauptsächlich, um bei H&M einzukaufen und danach einen Kaffee bei Starbucks zu trinken.
Während der Kampf um das historische Areal am Glocken- und Trommelturm noch nicht verloren ist, sieht es für den Rest der Hauptstadt düster aus. In den letzten Jahren sind circa zwei Drittel der etwa 3000 noch verbliebenen historischen Gassen (Hutongs) abgerissen worden, obwohl viele von ihnen offiziell als erhaltenswert eingestuft wurden. So geht die kulturellen Identität und Individualität Pekings langsam verloren. Die Entwicklung zur modernen Metropole steht an erster Stelle. Viele historische Gebäude fallen der Macht der Immobilienfirmen, dem Hunger nach Wohn- und Büroraum zum Opfer. Doch Peking ist nur ein prominentes Beispiel für einen Modernisierungstrend, der das ganze Land erfasst hat.
Mehr als die Hälfte der existierenden Wohnstruktur in China soll in den nächsten 20 Jahren abgerissen und wieder aufgebaut werden. Das erklärte Chen Huai, vom Ministerium für Wohnungswesen und Entwicklung von Stadt und Land kürzlich. Betroffen seien Gebäude, die vor 1999 errichtet wurden. „Einige historischen Bauten, die Schutz verdienen, werden von der Abrissbirne verschont bleiben“, so Chen. Tatsächlich wurde auf historische Bausubstanz in den meisten Städten Chinas bisher kaum Rücksicht genommen. „Auf der Jagd nach Profit wird der Wert unseres kulturellen Erbes vielerorts einfach ignoriert“, sagt Zhang Pei vom CHP. Im Boomland China geht der Blick nach vorn. Mit der Wirtschaft wachsen auch die Städte des Landes und reißen alles Alte mit sich. Als ein „Desaster für den Schutz von historischen Relikten“ bezeichnete Shan Jixiang, Chef der staatlichen Behörde für Denkmalschutz, die massive Neugestaltung historischer Städte. „Viel von unserer traditionellen Architektur, die von Generation zu Generation weiter gegeben wurde, ist rücksichtslos beseitigt worden“, so Shan. Der Kampf um den Schutz von Chinas kulturellem Erbe sei in seiner kritischsten Phase angelangt.
Auch wenn es ein ziemlich aussichtloser Kampf zu sein scheint, den chinesische Denkmalschützer gerade austragen – zumindest innerhalb Pekings wird der Widerstand gegen die blinde Modernisierungswut langsam stärker. „Mit Hilfe der Medien, aber auch durch Veranstaltungen versuchen wir, den Menschen die Bedeutung unseres historischen Erbes begreiflich zu machen“, so Zhang Pei vom CHP. Sie hofft, das Areal um den Glocken- und Trommelturm zu erhalten, ohne es seiner historischen Identität zu berauben. Dann könnte das Projekt Vorbildcharakter für andere historische Orte haben. Zumindest vorerst ist über die Zukunft des Viertels aber nicht endgültig entschieden worden. Und mit ein bisschen Glück behalten ja sogar die Anwohner Recht, die glauben, dass sich an ihrem Viertel so schnell nichts ändern wird.
sergiohh - 18. Aug, 08:40