Dienstag, 15. März 2011

China und die Kernenergie

Unbeirrt von der nuklearen Katastrophe in Japan baut China die Atomenergie massiv aus.

Auch wenn China versucht, seine heißgelaufene Wirtschaft zu drosseln. Der Energiehunger der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt ist riesig. 70 Prozent des Energiebedarfs des riesigen Landes wird noch durch Kohle gedeckt. Deshalb setzt die chinesische Regierung auf Atomenergie. Während sich in Japan nach dem Erdbeben eine nukleare Katastrophe anbahnt, die Atommeiler außer Kontrolle geraten, setzt Chinas Führung unbeirrt auf Atomkraft. Allein in den nächsten fünf Jahren soll mit dem Bau von rund 40 Reaktoren begonnen werden. Das geht aus dem neuen Fünf-Jahres-Plan hervor, den die Delegierten der Volkskongress am Montag in Peking zum Abschluss der Jahrestagung billigten. Demnach soll die Nutzung der Atomkraft in den Küstenprovinzen beschleunigt, aber auch in Zentralchina vorangetrieben werden. Bis 2015 soll mit dem Bau von 40 Gigawatt an Kapazitäten neu begonnen werden. Im Moment hat China 13 Atomreaktoren mit einer installierten Kapazität von 10,8 Gigawatt in Betrieb. Bis 2020 sollen diese Kapazitäten auf 86 Gigawatt sogar verachtfacht werden. 25 Kernreaktoren sind gegenwärtig schon im Bau, weitere 50 sind in konkreter Planung. Darüber hinaus gibt es Vorschläge für 70 weitere Reaktoren.

Ziemlich deutlich erklärte die chinesische Regierung, dass sie ihre gigantischen Pläne wegen der Katastrophe in Japan nicht in Frage stellt. „China beobachtet, welche Auswirkungen das Erdbeben auf Japans nukleare Anlagen hat und zieht seine Lehren daraus“, erklärte Vize-Umweltminister Zhang Lijun bereits am Samstag. Auf einer Pressekonferenz zum Abschluss des Volkskongresses ging Regierungschef Wen Jiabao am Montag weder auf die Atomunglücke noch auf Chinas Pläne zum Ausbau der Kernenergie ein. Er sprach den Menschen in Japan lediglich sein tiefes Mitgefühl aus. „China ist auch ein erdbebengefährdetes Land, wir verstehen die Not die Japan derzeit erleidet“, sagte Wen.

Einige der Delegierten des Volkskongresses betonten aber auf Journalistenfragen, China sollte der Sicherheit von Kernkraftwerken mehr Aufmerksamkeit schenken. „Wir sollten vorsichtiger sein“, sagte der Delegierte Wang Chunyun, ein Ingenieur aus der Provinz Jiangsu. Atomkraftwerke sollten nicht in der Nähe von Ballungszentren gebaut werden. „Das Unglück in Japan wird uns eine Lehre sein", sagte der Delegierte Lu Qin aus Jiangsu. „Ich wünschte, es gebe Alternativen zur Atomkraft - aber ich bin da kein Experte.“ Eine richtige Debatte über die Sicherheit von Atomkraftwerken gibt es bisher nicht, nur vereinzelt kritisieren Wissenschaftler in den chinesischen Medien den Ausbau der Kernenergie als zu aggressiv. Zhou Dadi, früherer Direktor des Energieinstituts der Entwicklungs- und Reformkommission (NDRC) verteidigte den Kurs der Regierung. „40 Gigawatt in fünf Jahren sind nicht zu viel“, sagte Zhou. Laut Berichten staatlicher Medien seien die chinesischen Reaktoren sicherer als die Japanischen. Diese hätten Reaktoren der zweiten Generation, während China die der dritten und neuesten vierten Generation baue. Probleme mit elektrischen Kühlsystemen wie jetzt in Japan könne es da nicht geben. Vielmehr besäßen sie riesige Wassertanks, die mit Schwerkraft funktionierten. Das erklärte der Geschäftsführer des Stromversorgers „China Power Investment Corporation“, Lu Qizhou, gegenüber der Nachrichtenagentur Xinhua.

Die Befürworter der Atomenergie scheinen in China in der Überzahl. Selbst wer sich in der Volksrepublik dem Umweltschutz verschreibt, ist nicht gleich Kernkraftgegner. Dabei sind viele Fragen ungeklärt. Wo das hochqualifizierte Personal für den Betrieb von so vielen Atomkraftwerken herkommen soll, ist fraglich. Das gilt auch für die Überwachung der Atomanlagen. Wenig bekannt ist auch, wie es um die Sicherheitsstandards der chinesischen Meiler steht, die im Schnellverfahren gebaut werden. Der massive Ausbau der Kernenergie ist in China zwar beschlossen Sache. Doch vielleicht führt die Katastrophe in Japan wenigstens im Nachhinein zu einer Sicherheitsdebatte.

Montag, 14. März 2011

Japan: Katastrophe im Land der Disziplin

Vor Supermärkten und Tankstellen geordnete Menschenschlangen. Kaum Zeichen von Panik. Die Japaner zeigen im Angesicht der Katastrophe eine unfassbare Gelassenheit. Dabei werden die Fernsehbilder und die Nachrichten von Tag zu Tag dramatischer.

Eigentlich sage er so etwas fast nie, aber jetzt müsse er es doch sagen: „In diesen Tagen verehre ich die Japaner. Sie reagieren so beherrscht, so erstaunlich gelassen. Das hat mich selbst überrascht.“ Der 88-jährige Germanistikprofessor Hikaru Tsuji, der einst Kafka und Goethe ins Japanische übersetzte, hat das Erdbeben in seinem Haus in Shimokitazawa, einem Szeneviertel im Westen von Tokio, erlebt. Als die Erde zu beben begann, floh er mit seiner Frau in den Garten. „Ich lebe noch“, sagt er lakonisch, „ich hatte Glück.“ Was der Professor beobachtet hat, ist im ganzen Land zu sehen. Mit ungeheuerer Disziplin, einer geradezu stoischen Ergebenheit fügen sich seine Landsleute in ihr Schicksal. Vor Supermärkten und Tankstellen stehen geordnete Menschenschlangen. Kaum irgendwo gibt es Anzeichen von Panik.

Dabei werden die Bilder, die das Fernsehen in die japanischen Haushalte bringt, immer schlimmer. „Es ist ein höllischer Anblick. Ich kann das einfach nicht glauben. Ich befürchte, es gibt noch viel mehr Opfer unter den Trümmern“, sagt Satoshi Abe, eine 55-jährige Büroangestellte aus der Stadt Kesennuma in der Präfektur Miyagi, Reportern der japanischen Zeitung „The Daily Yomiuri“ nach dem Erdbeben. Einige Bewohner, die es nicht geschafft hatten, Kesennuma rechtzeitig zu verlassen oder in Schutzbunkern unterzukommen, retteten sich in den dritten Stock eines Gemeindezentrums. Eingeschlossen von den Wassermassen mussten die Menschen dort die Nacht verbringen. Große Teile der Küstenstadt mit etwa 75 000 Einwohnern wurden nach dem Erdbeben und dem darauffolgenden Tsunami völlig zerstört. Wie viele Menschen sich rechtzeitig in Sicherheit bringen konnten, ist weiter unklar. Auch die rund 40 Kilometer entfernte Küstenstadt Minamisanriku wurde völlig verwüstet. Allein dort werden tausende Menschen vermisst.

Zwar heißt es in den offiziellen Angaben am Sonntag immer noch, etwa 2000 Menschen seien ums Leben gekommen. Die Wahrheit dürfte jedoch um einiges dramatischer sein. Der japanische Fernsehsender NHK berichtete, dass es allein in der Region Miyagi möglicherweise mehr als 10 000 Tote gegeben hat. „Ich habe keinen Zweifel, dass die Zahl der Toten in Miyagi bis auf über 10 000 steigt“, zitierte NHK Naoto Takeuchi den Chef der Provinzpolizei.

In ganz Japan mussten hunderttausende Menschen in Notunterkünften untergebracht werden. Viele Familien wurden auf der Flucht vor der Flutwelle getrennt. Doch die Suche nach den Angehörigen ist äußerst schwierig, weil die Telekommunikation in einigen Teilen des Landes gestört ist. „Ich konnte mich gerade noch vor den Fluten retten, aber ich erreiche meine Familie immer noch nicht über das Handy“, berichtete Kazuo Chiba, ein Einwohner der zerstörten Stadt Kesennuma am Samstag. Unterdessen wird die Versorgungslage für die Überlebenden zwei Tage nach dem Erdbeben immer schwieriger, auch wenn die Rettungskräfte auf Hochtouren arbeiten. Millionen Menschen fehlt es an Trinkwasser, Elektrizität und Lebensmitteln. Nach Schätzungen der Behörden sind bei Temperaturen um den Gefrierpunkt mindestens 1,4 Millionen Haushalte ohne Wasser und 2,5 Millionen Haushalte ohne Strom.

Etwa 390 000 Menschen sind nach Medienberichten vor den verheerenden Zerstörungen der Naturkatastrophe geflohen – meist in Richtung Süden. Ein schwieriges Unterfangen, da große Teile der Infrastruktur zerstört sind. Straßen wurden unterspült, Brücken sind eingestürzt. In fünf Provinzen des Landes wurden mehr als 1400 Notlager in öffentlichen Gebäuden wie Schulen und Gemeindehäusern eingerichtet. Die Regierung hat angekündigt, die Zahl der Soldaten zur Unterstützung der Rettungseinsätze auf 100 000 zu verdoppeln. Doch auch die Suche nach Überlebenden gestaltet sich aufgrund der zerstörten Verkehrswege schwierig.
Auch das Technische Hilfswerk (THW) aus Deutschland ist mittlerweile im Einsatz. Am Samstag um 13 Uhr 30 sind 38 Helfer mit zwölf Tonnen Material und drei Spürhunden nach Japan aufgebrochen, zuvor war bereits eine Vorhut von sechs Mann in Tokio angekommen. Ihr Auftrag: Überlebende retten. Zunächst hielten sie sich in Tokio auf und warteten ab, in welcher Region sie zum Einsatz kommen sollten, erklärt THW-Sprecher Nicolas Hefner. Dabei drängt die Zeit. 72 bis 120 Stunden können nach allen Erfahrungen Menschen in Trümmern überleben. „In diesem Zeitfenster liegen wir noch.“

Am Sonntag brachen THW-Kräfte dann in den Westen des Landes auf. Ausgeschlossen werde allerdings ein Einsatz im radioaktiv verseuchten Nordosten. „Wir wollen auf gar keinen Fall“, sagt Hefner, „dass Helfer in kontaminiertes Gebiet gehen.“ Mittlerweile steigt in der japanischen Bevölkerung die Angst vor einer nuklearen Katastrophe, auch wenn diese Gefahr für viele Japaner noch wenig konkret ist. In Tokio, das etwa 240 Kilometer vom havarierten Atomkraftwerk Fukushima entfernt ist, herrscht angespannte Ruhe. Die Straßen der Metropole sind wie leergefegt. Augenzeugen berichten, dass sie eine derartige Stille in Japans Hauptstadt noch nie erlebt hätten. Nur wenige Bewohner haben sich aus Angst vor einer nuklearen Katastrophe zu Verwandten weiter in den Süden geflüchtet. Die meisten Menschen bleiben in Tokio im Kreis ihrer Familie und versuchen, möglichst wenig nach draußen zu gehen.

Auch Jesper Weber, ein 40-jähriger Berliner, der seit 19 Jahren in Tokio lebt, harrt vorläufig noch aus. Zwar hat er den Notkoffer schon gepackt. Aber noch denkt er nicht an Flucht. Erst wenn das Auswärtige Amt die Order zur Ausreise geben sollte, würde er mit seiner Frau aufbrechen. Schwierig wäre die Flucht im Moment nicht, denn die Tokioter Flughäfen sind in Betrieb. Bei mehreren Luftverkehrsgesellschaften sind noch noch Tickets für Flüge von Japan nach Europa erhältlich. Bei der Lufthansa befanden sich gestern Nachmittag alle vier planmäßigen Flüge nach Frankfurt oder München auf dem Weg nach Deutschland.

Obwohl es in Tokio so ruhig ist, fühlt sich Jesper Weber allmählich mit seinen Kräften am Ende. All die Tage hat er fast rund um die Uhr am Fernseher und im Internet verbracht. Alle Sender berichten ausschließlich über das Beben und die Rettungsaktionen, seit Freitag, 14 Uhr 46, wurde kein einziger Werbespot mehr ausgestrahlt. „Auch wenn sich die Lage in Tokio einigermaßen normalisiert hat“, sagt er, „um so mehr begreift man hier, was sich 250 Kilometer weiter nördlich abspielt. Und das kann man eigentlich nicht verarbeiten. Erst jetzt wird uns das alles richtig bewusst.“ Dazu kommen die ständigen Nachbeben. Man gewöhne sich an diesen Ausnahmezustand, aber gerade das sei ein Problem, weil man nun nicht mehr mit genügend gesunder Angst reagiere. „Die Nachbeben hätten uns in ihrer Stärke vor drei Tagen noch kreidebleich vor Furcht werden lassen.“

Aber auch in Tokio sind die Auswirkungen der Katastrophe im Alltag noch hautnah zu spüren. Manche Restaurants haben geschlossen, weil sie keine Lebensmittel mehr kaufen können. Die Regale in den Supermärkten sind weitgehend leer geräumt – eine Folge der Hamsterkäufe. In einem Heimwerkermarkt hängt eine Liste von Produkten aus, die momentan nicht erhältlich sind: Kerzen, Batterien, Taschenlampen, Helme, Transistorradios, Wasser- und Benzinkanister, Gaskocher, Schrauben zur Absicherung von Möbeln.

Auch Markus Grasmück, ein Deutschlehrer an der Tokioter Universität, überlegt in diesen Stunden, ob er nicht sofort mit seiner Frau in deren Heimat fliegen sollte, nach Thailand. Für zwei Wochen vielleicht oder einen ganzen Monat. Aber etwas sträubt sich in Grasmück gegen den Gedanken, Japan ausgerechnet jetzt zu verlassen. „Ich lebe schon 15 Jahre hier, ich will die Leute nicht im Stich lassen. Ich weiß nicht, was ich glauben soll“, sagt er mit ruhiger Stimme, der man die Anspannung jedoch anmerkt. „Wenn ich auf ,Spiegel Online‘ gehe, habe ich das Gefühl, der Super-GAU ist schon da. Im japanischen Fernsehen wird dagegen wenig emotional über das Unglück in Fukushima gesprochen.“ Gerade hat er versucht, sich Informationen aus erster Hand von der Internetseite der Firma Tepco, dem Betreiber des Akws Fukushima, zu holen – ohne Erfolg. Die Seite sei unter dem großen Ansturm zusammengebrochen. „Ich bin hilf- und ratlos“, sagt Grasmück. So hilflos wie eine ganze Nation.

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Sonntag, 13. März 2011

China hält an Kernenergie fest

Auch in China hat das verheerende Erdbeben im Nachbarland Japan für Bestürzung gesorgt. Doch während Chinas Ministerpräsident Wen Jiabao am Freitag noch schnell reagierte und seinem japanischen Amtskollegen Naoto Kan seine tiefe Anteilnahme übermittelte, hielt sich die chinesische Führung in Peking am Samstag mit Stellungnahmen zurück. Fast einwenig unterkühlt wirkte die Reaktion auf die sich anbahnende nukleare Katastrophe. „Chinas Regierung verfolgt die Entwicklung in Japan aufmerksam“, erklärte Chinas Vize-Umweltminister Zhang Lijun am Samstag in Peking. Die zuständigen Behörden der Volksrepublik lassen sich von japanischer Seite detailliert über die Lage nach dem Erdbeben informieren. Dass ein möglicher Austritt von Radioaktivität durch das beschädigte Kernkraftwerk Fukushima auch China belasten könnte, befürchtet man derzeit offenbar nicht. „Die Regierung hat in Chinas Küstenstädten Tests durchgeführt, um eine mögliche Belastung durch die nuklearen Lecks in Japan festzustellen. China ist bisher nicht betroffen“, erklärte Zhang Lijun am Vormittag auf einer Pressekonferenz anlässlich der Tagung des diesjährigen Volkskongresses.

Die Katastrophe in Japan kommt für China zu einer denkbar ungünstigen Zeit, dürfte die kommunistische Führung aufgeschreckt haben. Denn China setzt massiv auf Atomkraft, obwohl auch die Volksrepublik regelmäßig von Erdbeben heimgesucht wird. Bis 2015 will die kommunistische Führung rund 28 neue Atomanlagen mit Dutzenden Reaktoren bauen lassen und so den Anteil am Atomstrom verdoppeln. Im neuen Fünfjahresplan, der am Montag verabschiedet wird, ist der rasante Ausbau der Atomenergie festgeschrieben. „Wir werden genau beobachten, welche Auswirkungen das Erdbeben auf Japans nukleare Anlagen hat und unsere Lehren daraus ziehen“, erklärte Zhang Lijun. China werde aber seine eigenen Pläne zum Bau weiterer Atomanlagen nicht verwerfen.

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Freitag, 11. März 2011

Debatte über Flugverbotszone

Einsatz für den Kampf über Libyen

Frankreich und Großbritannien drängen auf einen UN-Entschluss zu einer Flugverbotszone über Libyen. Hat das Aussicht auf Erfolg? Die Deutschen sind noch skeptisch. Sowohl Außenminister Guido Westerwelle als auch Entwicklungsminister Dirk Niebel (beide FDP) halten die Einrichtung einer Flugverbotszone zwar prinzipiell für möglich, haben aber große Zweifel. Westerwelle glaubt, dass das Einrichten einer Flugverbotszone einem militärischen Eingreifen sehr nahe kommt. Auch Niebel sieht das so und sagte in einem Interview mit der Nachrichtenagentur dapd: „Die Bundeswehr und die USA müssten massivste Luftangriffe auf Libyen fliegen.“ Deutschland setzt sich mehr für die Verschärfung der Sanktionen ein. Dem folgt die EU. Die Vertreter der 27 EU-Regierungen einigten sich darauf, das Vermögen einer Reihe von libyschen Finanzunternehmen einzufrieren.

Auf einem Treffen der EU-Außenminister Ende der Woche soll es um weitere Sanktionen gehen – nicht um eine Flugverbotszone. Und doch steigt der Druck. Nach dem Golfkooperationsrat sprach sich am Dienstag auch die Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) für ein Flugverbot aus. Ingo Peters vom Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin sieht es so: „Eine Flugverbotszone wäre sicherlich klug, ein UN-Mandat als Legitimationsgrundlage ist aber nahezu unverzichtbar. Wollte man diese ohne ein UN-Mandat einrichten, müsste es schon als Nothilfe durchgehen, das ist unter Umständen möglich, aber die deutlich schlechtere Alternative, die ich derzeit auch nicht sehe.“

Was planen die Briten, Franzosen und die Amerikaner? Welche Haltung verfolgen China und Russland?

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Presseschau 03/11

Eine "Locke" für China

Ein Amerikaner mit chinesischen Wurzeln hat es diese Woche auf die Titelseiten der Zeitungen in China gebracht: Gary Locke. Der US-Handelsminister wurde am Mittwoch vom amerikanischen Präsident Barack Obama zum Botschafter in China nominiert. Er soll Jon Huntsman nachfolgen, der Ende April aus dem Amt scheidet. Ein Schritt, den Chinas Medien durchaus wohlwollend aufnahmen. Noch ohne die endgültige Bestätigung über die Nominierung zu haben, begrüßte die „China Daily“ die Entscheidung. Schon zu Beginn der Woche hatten US-Zeitungen über die Nominierung von Gary Locke spekuliert, die dann tatsächlich erst am Mittwoch erfolgte. „Sein chinesischer Hintergrund und seine Wirtschaftskenntnisse scheinen Locke zum perfekten Kandidaten zu machen“, hieß es in der Mittwochsausgabe der China Daily. Die staatliche Zeitung bezeichnete Gary Locke als „Trumpfkarte“ Barack Obamas, sein ehrgeiziges Ziel der Verdopplung der US-Exporte bis 2015 zu erreichen. Dem US-Handelsminister traut man offensichtlich zu, die schwierigen Wirtschaftsbeziehungen beider Länder in den Griff zu bekommen.
Bevor Locke Handelsminister wurde, war er Gouverneur des Bundesstaates Washington. Locke ist der erste chinesisch-stämmige Politiker in den USA, der so hohe Regierungsämter bekleidete. Allerdings ließ die „China Daily“ in ihrem Bericht auch Experten zu Wort kommen, die warnten, die Herkunft Lockes dürfe nicht überbewertet werden. „Er spricht ja noch nicht einmal chinesisch“, erklärte Tao Wendao, Experte für Außenpolitik an der chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften.

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Mittwoch, 9. März 2011

Erst einschüchtern, dann leugnen /Update

Chinas Sicherheitsbehörden setzen ausländische Journalisten unter Druck, um eine kritische Berichterstattung zu verhindern.

Tunesien, Ägypten und bald wohl auch Libyen – der Untergang arabischer Machthaber hält auch die kommunistische Regierung in Peking in Atem. Dabei sind die Aufstände in Nordafrika nicht nur geografisch ganz weit weg. Doch einmal mehr spielt das Internet eine entscheidende Rolle, schafft eine Verbindung zwischen diesen beiden unterschiedlichen Welten. Inspiriert vom Aufbruch in der arabischen Welt, verbreiten sich nun regelmäßig anonyme Aufrufe zu „Jasmin-Protesten“ in China im Internet. Zu größeren Demonstrationen ist es daraufhin noch nicht gekommen. Und dennoch reagiert das chinesische Regime bis auf das Äußerste gereizt. Vielleicht ist es gerade das nicht Greifbare dieser virtuellen Revolution, das die Führung in Peking so nervös macht. Mit aller Macht gehen die Behörden gegen Regimegegner und Bürgerrechtsaktivisten vor.

Doch mittlerweile rücken auch ausländische Journalisten in den Fokus der Sicherheitsbehörden, die polizeistattliche Methoden gegen Journalisten anwenden. Christine Adelhart, China-Korrespondentin der ARD, hat in der letzten Woche einige der gängigsten Vorgehensweisen kennengelernt, mit denen die Sicherheitsbehörden versuchen, eine kritische Berichterstattung zu verhindern. Fast den ganzen Tag wurde sie am Samstag von Mitarbeitern der Staatssicherheit beschattet. „Die Männer sind mir nicht nur gefolgt, sondern haben sich auch vorab an verschiedenen Orten platziert. Ich konnte beobachten, wie sie sich per Handy untereinander abstimmten“, sagt Christine Adelhardt. Sie ist sich sicher, dass die Sicherheitskräfte absichtlich auffällig agiert haben, gesehen werden wollten. „Diese Art der offenen Überwachung ist ein klarer Versuch der chinesischen Behörden, uns einzuschüchtern“, so Adelhardt. Zusätzlich erhielten einige ihrer Mitarbeiter Drohanrufe. Weitere deutsche Journalisten wurden am Wochenende verfolgt und bekamen Besuch von chinesischen Beamten. Diese belehrten mehrere Korrespondenten, sich an die Gesetze zu halten. Andere ausländischen Medien, darunter der Nachrichtensender CNN, Bloomberg News oder die New York Times berichten von einem ähnlichen Vorgehen der Sicherheitsbehörden.

Ein Großaufgebot an Polizeikräften unterdrückte nun schon den dritten Sonntag in Folge mögliche Demonstrationen gegen die Regierung. Auch an diesem Sonntag wurden dabei erneut etwa ein Dutzend ausländische Journalisten vorübergehend festgesetzt. Chinas rigides Vorgehen gegen ausländische Journalisten veranlasste den deutschen Außenminister Guido Westerwelle (FDP) zum zweiten Mal in kürzester Zeit, die chinesische Regierung zu kritisieren. „Die fortgesetzte Behinderung der Arbeit von Journalisten ist nicht akzeptabel und beeinträchtigt das Ansehen der Volksrepublik China in der weltweiten Öffentlichkeit“, erklärte Westerwelle am Sonntag.

Chinas Führung scheint auf ihr Ansehen derzeit allerdings nicht viel zu geben. Das massive Vorgehen der Sicherheitsbehörden hält die chinesische Führung für angemessen. So verteidigte der chinesische Außenminister Yang Jiechi am Montag die verschärfte Kontrolle von Journalisten in China, leugnete gar gewaltsame Übergriffe gegen Reporter. „Es hat keinen Fall gegeben, bei dem chinesische Polizeibeamte ausländische Journalisten geschlagen haben“, sagte Yang auf einer Pressekonferenz anlässlich der Tagung des Volkskongresses in Peking. Dabei waren vor rund einer Woche in der Straße Wangfujing im Zentrum Pekings drei Journalisten bei einem Polizeieinsatz verletzt worden. Ein Reporter von Bloomberg erlitt durch wiederholte Tritte ins Gesicht sogar schwere Verletzungen. Sicherheitskräfte in Uniform und Zivil gingen rabiat gegen ausländische Journalisten vor. Mehrere Journalisten wurden stundenlang von der Polizei festgehalten. Darunter auch ARD-Korrespondentin Christine Adelhardt, die mit ihrem Kamerateam von mehreren Männern in Zivil mit Gewalt von der Straße in eine Bankfiliale gedrängt und später mit einem Mannschaftswagen der Polizei abtransportiert wurde.

Wie Dutzende andere Journalisten wurde die ARD-Korrespondentin in der vergangene Woche von der Polizei angewiesen, künftig vor der Berichterstattung jeweils die Genehmigung örtlicher Stellen einzuholen. Damit sind ausländische Journalisten der Willkür örtlicher Behörden ausgeliefert, die bei kritischen Themen jederzeit die Berichterstattung vor Ort verbieten können. Außerdem ist es nicht immer möglich, die jeweils richtige Behörde herauszufinden - zumal in China häufig mehr als eine zuständig ist. Reporter müssen so bei jedem Einsatz befürchten, gegen das Gesetz zu verstoßen. Bereits im Zusammenhang mit der Berichterstattung über die „Jasmin-Proteste“ wurde zahlreichen China-Korrespondenten mit Haft und Ausweisung gedroht.

In Hinblick auf die Olympischen Spiele 2008 in Peking hatte China die Vorschriften für die Berichterstattung ursprünglich gelockert. Journalisten, die eine Organisation oder eine Person interviewen wollten, benötigten seitdem lediglich deren Einverständnis. Ein Zugeständnis, dass die Behörden vorerst wieder zurückgenommen haben. Im Angesicht der Diktatorendämmerung in der arabischen Welt, fürchtet das Regime in Peking offenbar einen Kontrollverlust. Mit seinen Versuchen, ausländische Journalisten einzuschüchtern, produziert das von wirtschaftlichen Erfolgen verwöhnte China allerdings von ganz alleine negative Schlagzeilen.

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Sonntag, 6. März 2011

Chinas Wirtschaft soll nicht mehr um jeden Preis wachsen

Zum Auftakt der Sitzung des Nationalen Volkskongresses in Peking hat Regierungschef Wen Jiabao am Samstag die Modernisierung der chinesischen Wirtschaft angekündigt. Für eine nachhaltigere Entwicklung soll das Wachstum des Landes gedrosselt werden.

Wie wirkt man interessiert, wenn man eigentlich nichts zu sagen hat. Mit dieser Frage müssen sich die knapp 3000 Delegierten des Nationalen Volkskongresses einmal im Jahr auseinandersetzen. Sie sind nicht viel mehr als ein Teil einer großen Politinszenierung der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh). Nicht nur, dass den Abgeordneten des Parlaments lediglich die Rolle bleibt, die Entscheidungen der Führung der KPCh zu bestätigen. Sie müssen auch jedes Mal einen identischen Ablauf der Sitzung über sich ergehen lassen. Unter dem roten Stern an der Decke der Großen Halle des Volkes in Peking marschiert kurz vor neun Uhr morgens das versammelte Politbüro ein, begleitet von der Musik einer Militärkapelle. Dann folgt die Eröffnungsrede von Wen Jiabao, der diesmal zwei Stunden lang die Arbeit seiner eigenen Regierung preist – samt Ausblick auf die kommenden Jahre. Dass die Rede durchaus tiefgreifende politische Entscheidungen enthält, fällt bei dem blutleeren Vortrag von Regierungschef Wen Jiabao kaum auf.

Doch tatsächlich kündigt Wen Jiabao in seiner Rede nicht weniger als den Umbau der chinesischen Wirtschaft an. „Unser Hauptziel ist es, ein gutes Umfeld für die Transformation der Mechanismen der ökonomischen Entwicklung zu schaffen“, umschreibt Wen das Mammutprojekt der chinesischen Führung gewohnt vage. Die Umstrukturierung der Wirtschaft ist wohl das wichtigste Projekt des neuen Fünf-Jahres-Plans, der am Ende der mehrtägigen Parlamentssitzung verabschiedet wird. Denn obwohl China schon seit Längerem versucht, die Weichen für ein ausgewogeneres Wachstum zu stellen, beruht es noch immer auf exzessivem Rohstoffverbrauch und Umweltverschmutzung. Mit dem neuen Fünf-Jahres-Plan unternimmt Chinas Führung einen weiteren Anlauf, dies zu ändern. Als Wachstumsziel für dieses Jahr gab Wen Jiabao deshalb nur noch etwa acht Prozent aus. Für den Zeitraum des neuen Fünf-Jahres-Plans strebt die Volksrepublik lediglich sieben Prozent jährlich an. Die Ziele liegen deutlich unter dem Wachstum des vergangenen Jahres von 10,3 Prozent. In seiner Rede hob Chinas Regierungschef die Förderung von neuen Umwelttechniken und Erneuerbaren Energien hervor. Dafür will Peking in den nächsten fünf Jahren gezielt in Schlüsselindustrien wie Erneuerbare Energien und Informationstechnik investieren. Weg von der Produktion billiger Massenware, hin zur Fertigung von Spitzentechnologie. Zusätzlich soll der Dienstleistungssektor stärker gefördert werden. So sollen mehr Jobs geschaffen werden, um Beschäftigung für die Millionen Arbeitskräfte zu schaffen, die vom Land in die Städte rücken.

Im Fokus steht jedoch die Umstellung der Wirtschaft auf eine umweltschonendere Produktionsweise. Für Chinas Führung hängt viel von dem Gelingen dieses Vorhabens ab. Denn setzt die Wirtschaft ihr zerstörerisches Treiben weiter fort, dürften die Kosten der Umweltzerstörung das Wachstum des Landes ernsthaft gefährden. Schon jetzt sind die Folgekosten der Naturverschmutzung gravierend. Eine von der Regierung in Auftrag gegebene Studie kam vor Kurzem zu dem Ergebnis, dass die Verunreinigung der Natur 2008 Folgekosten von umgerechnet circa 156 Milliarden Euro verursacht habe. Eine andere Studie, an der auch Greenpeace beteiligt war, errechnete einen mehr als doppelt so hohen Schaden. Daneben gefährdet die fortschreitende Umweltverschmutzung auch die Gesundheit der Bevölkerung. Und immer mehr Chinesen zeigen sich wütend über die zahlreichen Umweltskandale im Land. Dennoch bleibt es ungewiss, ob sich die neuen Umweltvisionen der Zentralregierung in Peking wirklich in den vielen Provinzen des Landes verbreiten. Denn gerade auf lokaler Ebene fehlt es den Parteifunktionären an Verständnis für Umweltbelange – die weitverbreitete Korruption tut ihr Übriges. „Besonders für die Provinzregierungen zählt häufig noch immer nur das Wirtschaftswachstum, das man um jeden Preis steigern möchte“, sagt Li Ang, Expertin für Energiepolitik von Greenpeace China in Peking.

Der Kampf gegen die Umweltverschmutzung der Industrie ist allerdings nur ein Teil der ambitionierten Ziele der Regierung. Daneben setzt Peking auf die Stärkung seiner Binnennachfrage, die den Exportweltmeister unabhängiger von unstetigen internationalen Märkten machen soll. Schon im vergangenen Jahr wurde der heimische Verbrauch erfolgreich angekurbelt, die Einzelhandelsumsätze stiegen um 18,3 Prozent. Um die Inlandsnachfrage noch weiter zu stärken, versprach Wen Jiabao besonders niedrige Einkommen anzuheben. Um durchschnittlich sieben Prozent soll das Prokopfeinkommen der Landbevölkerung jedes Jahr wachsen. Gleichzeitig erklärte Wen in seiner Rede vor dem Volkskongress, dass die Sozialsysteme des Landes verbessert werden sollen.

Mit ihren Maßnahmen versucht die Regierung, die wachsende soziale Unzufriedenheit in China zu bekämpfen. Dazu muss diese vor allem die Einkommenskluft zwischen Arm und Reich verringern, die Früchte des anhaltenden Wirtschaftswachstums besser verteilen. Gerade einmal ein Drittel beträgt das Einkommen der Landbevölkerung im Vergleich zu dem der Stadtbewohner. Umso härter trifft die Menschen auf dem Land die rasante Inflation. Bisherige Lohnerhöhungen konnten die Preissteigerung bisher nicht ausgleichen. Steigende Lebensmittel- und Immobilienpreise bergen daher die Gefahr von sozialen Unruhen. Nur wenn es den Machthabern in Peking gelingt den Lebensstandard innerhalb der Bevölkerung weiter anzuheben, kann die kommunistische Parteispitze ihren alleinigen Führungsanspruch auf Dauer sichern.

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Samstag, 5. März 2011

Zwischen Machtdemonstration und Nervosität

Für Chinas Führung ist es das wichtigste Ereignis des Jahres. Etwa 3000 Delegierte des Nationalen Volkskongresses, offiziell das höchste Staatsorgan des Landes, kommen jedes Jahr im März in Peking zusammen, um die Arbeit der chinesischen Regierung zu bestätigen. Viel Kritik oder gar Ablehnung muss diese von den Delegierten nicht befürchten. Die heute beginnende rund zweiwöchige Tagung ist lediglich ein politisches Ritual der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh). Denn alle wichtigen Entscheidungen sind bereits in den engen Führungszirkeln der KPCh gefallen. Dennoch birgt die diesjährige Sitzung des Volkskongresses einige Spannung. Zum Einen, weil auf diesem auch der neue 5-Jahres-Plan verabschiedet wird, der die politische und wirtschaftliche Entwicklung des Landes skizziert. Zum Anderen, weil unbekannte Organisatoren für Sonntag erneut zu „Jasmin-Protesten“ für mehr Demokratie aufgerufen haben. Und das unweit der Großen Halle des Volkes im Zentrum der Stadt, wo die Delegierten des Volkskongresses tagen. Mit einem Großaufgebot an Sicherheitskräften werden Chinas Behörden auch diesmal jeden Protest im Keim ersticken.

Nichts soll die Inszenierung des politischen Großereignisses stören, auf dem Chinas Führung seine politischen Visionen bekannt gibt. Als größte Aufgabe hat sie sich den Umbau der Wirtschaft vorgenommen. Innerhalb der nächsten fünf Jahre soll die Exportabhängigkeit des Landes verringert und die Binnennachfrage gestärkt werden. Daneben will China von seinem Status als Billiglohnland wegkommen, hin zum Produzenten von hochwertigen Produkten. Der Umstrukturierung liegt die Warnung von Regierungschef Wen Jiabao zugrunde, dass Chinas Wirtschaft „instabil, unausgewogen, unkoordiniert und letztendlich nicht aufrechtzuerhalten“ sei. Aus diesem Grund soll die Wirtschaftskraft gebremst werden und in den nächsten fünf Jahren nur noch mit sieben Prozent jährlich wachsen. Schon im Vorfeld des Volkskongresses hatten zahlreiche chinesische Spitzenpolitiker betont, dass man kein Wachstum um jeden Preis anstrebe. „Wir müssen den Kuchen nicht nur größer machen, sondern auch gerechter verteilen, damit jeder die Früchte der Reform und Öffnung ernten kann", sagte Wen Jiabao.

Mit Sorge betrachtet die chinesische Führung die Entwicklung des Landes. Denn trotz anhaltenden Wirtschaftswachstums, hat China mit gravierenden Problemen zu kämpfen. Die rasante Inflation, besonders steigende Lebensmittel- und Immobilienpreise sorgen für Unmut in der Bevölkerung. Besonders die Landbevölkerung trifft die Preissteigerung hart. Denn deren Einkommen beträgt gerade einmal ein Drittel im Vergleich zu dem der Stadtbewohner. Noch immer klafft die Schere zwischen Arm und Reich weit auseinander. Deshalb will die Regierung niedrige Einkommen anheben. Allerdings konnten bisherige Anhebungen der Mindestlöhne die rasante Kostensteigerung im Land nicht ausgleichen. Auch Reformen bei der Renten- und Krankenversicherung werden seit langem abgekündigt, tiefgreifende Fortschritte lassen weiter auf sich warten. Dabei gehört soziale Sicherheit nach aktuellen Umfragen neben den massiven Preissteigerungen und den überteuerten Wohnungen durch die Blase am Immobilienmarkt zu den Hauptsorgen der Menschen.

Es ist eine lange Liste an Problemen, mit denen Chinas Führung zu kämpfen hat, um die Wirtschaft des Landes in die richtige Bahn zu lenken. Und nur wenn der Umbau gelingt und mehr Chinesen von dem Aufschwung profitieren, ist auch die Stabilität des Landes gewährleistet. Wohl deshalb reagieren die Machthaber in Peking derzeit auf jede Form des Protests so nervös. Obwohl die Internetaufrufe zu „Jasmin-Protesten“ nach arabischem Vorbild in China bisher nur geringen Zulauf gefunden haben, reagieren die Sicherheitsbehörden mit einer beispiellosen Machtdemonstration. Dutzende Bürgerrechtler wurden festgenommen, stehen unter Hausarrest, wurden eingeschüchtert oder verschleppt. Bürgerrechtler bewegten sich in einem „feindlichen und gefährlichen Umfeld“, berichtete Organisation Chinese Human Rights Defenders (CHRD) in ihrem Jahresbericht am Donnerstag.

Gleichzeitig versuchen die chinesischen Behörden auch eine kritische Berichterstattung ausländischer Journalisten zu verhindern. Die Polizei wies Korrespondenten an, künftig die Genehmigung örtlicher Stellen einholen zu müssen, bevor sie Interviews machen oder die Berichterstattung aufnehmen könnten. Das bisher zuständige Außenministerium beharrte hingegen darauf, dass die alten Regeln weiter gelten, wonach nur die Zustimmung des Interviewten nötig sei. Die Polizeibehörde hatte sich zuvor für zuständig erklärt und bei „Verstößen“ sogar mit Haft und Ausweisung gedroht. Wegen der neuen Einschüchterungsversuche gegen ausländische Korrespondenten in China hat die Bundesregierung den chinesischen Gesandten in Berlin ins Auswärtige Amt zitiert. Außenminister Guido Westerwelle verurteilte bereits am Donnerstag das Vorgehen und verlangte die „ungehinderte und freie“ Berichterstattung für die im Land akkreditierten deutschen Journalisten.

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Mittwoch, 2. März 2011

„Das Gesetz ist eine schlafende Schönheit"

Die chinesische Bürgerrechtsanwältin Guo Jianmei im Porträt

Nur einen Augenblick länger als sonst überlegt Guo Jianmei, bevor sie antwortet. Auf die Frage, aus welchen Beweggründen sie den Kampf für die Rechte der Frauen in China aufgenommen hat, gibt es für die 49-jährige Anwältin keine einfache Antwort, reicht ein Satz nicht aus. Nicht, dass sie vor dieser Frage zurückscheut, ganz im Gegenteil. Man merkt, wie wichtig es Guo Jianmei ist, die ganze Geschichte zu erzählen, wie der Kampf für Frauenrechte zu ihrem Lebensinhalt wurde. Zu erklären, welche Rolle die wissenschaftliche Auseinandersetzung, aber eben auch die eigenen Erfahrungen und ihre Familiengeschichte dabei gespielt haben. „In meiner Familie galten Männer seit jeher als überlegen. Meine Großmutter starb mit nicht einmal 40 Jahren. Sie verhungerte, während sie Brot verkaufte. Dabei war noch etwas Brot übrig. Doch aus Angst verprügelt zu werden, hat sie nicht davon gegessen“, erzählt Guo Jianmei. Auch wenn es um persönliche Dinge geht, spricht sie laut und mit fester Stimme. „Nicht nur in meiner Familie, auch in meinem Heimatort galten Männer als etwas Besseres“, sagt sie.



Aus ihrer alten Heimat in der zentralchinesischen Provinz Henan bricht Guo Jianmei aus. Im Alter von 18 Jahren beginnt sie ein Jurastudium an der Peking Universität, das sie 1983 abschließt - in einer Phase, in der sich China noch von der Herrschaft Mao Zedongs erholt und sein Nachfolger Deng Xiaoping seine Öffnungs- und Reformpolitik vorantreibt. Nach ihrem Studium bekommt Guo Jianmei eine Stelle im Justizministerium in Peking, arbeitet als Redakteurin für ein Magazin des chinesischen Anwaltverbandes und auch für den nationalen Frauenverband, ein einflussreiches Massenorgan der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh). Dort erarbeitet sie sich ein umfangreiches Wissen im Bereich Frauenrecht, hilft später, die Gesetzgebung voranzutreiben. Doch ihr Wissen beschränkt sich nicht nur auf das akademische Feld. „Ich bin in dieser Zeit durchs Land gereist, habe bestimmt 18 Provinzen besucht, um mir einen Überblick über die Lage der Frauen im Land zu verschaffen“, sagt Guo Jianmei. Sie möchte deutlich machen, dass sie Missstände und die Diskriminierung chinesischer Frauen mit eigenen Augen gesehen hat. 



Dabei ist der Gleichberechtigungsgedanke im kommunistischen China in jeder Verfassung seit 1949 verankert, die reine Gesetzeslage heute durchaus fortschrittlich. Im Frauenrechtsschutzgesetz von 1992 werden alle gesetzlichen Rechte der Frauen zusammengefasst. Zuletzt wurde es 2005 um Verbote der sexuellen Belästigung und der häuslichen Gewalt ergänzt. Die Entwicklung der Frauenrechte in China allein nach der Gesetzeslage zu beurteilen, damit mache man es sich laut Guo Jianmei aber zu einfach. „Es stimmt, dass unser Rechtssystem beim Familienrecht, bei der Ehegesetzgebung und beim Arbeitsrecht für Frauen besser wird“, sagt die Juristin. Allerdings gäbe es bei der Umsetzung in der Rechtsprechung noch gravierende Mängel. „Das Gesetz in China ist eine schlafende Schönheit. Würde nur die Hälfte aller vorhandenen Gesetze angewandt, wäre vieles in China besser“, so Guo.



Für die chinesische Anwältin wird das Jahr 1995 zum Wendepunkt in ihrem Leben. Zu dieser Zeit nimmt sie an der internationalen Weltfrauenkonferenz der Vereinten Nationenin Peking teil. Dank der Konferenz kommen viele Chinesen erstmals mit ausländischen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) in Kontakt. Nach dem Austausch mit Frauen aus aller Welt steht für Guo Jianmei fest, dass sie ihre eigene NGO gründen möchte. Noch im selben Jahr kündigt sie ihre sicheren Regierungsjobs und hebt ein Studien- und Beratungszentrum für Frauen in Peking aus der Taufe, das mittlerweile eine der aktivsten NGOs des Landes ist. Guo Jianmei selbst ist zu einer der bekanntesten Bürgerrechtsanwältinnen in China geworden. Auch international erhält ihre Arbeit viel Anerkennung. 2007 überreichte ihr Hillary Clinton den „Global Women’s Leadership Award“.

Seit über 15 Jahren kämpft ihr Zentrum nun für die Rechte chinesischer Frauen. Dazu gehört der Einsatz für ein besseres Rechtssystem genauso wie die konkrete Hilfe für Frauen, damit diese ihre Rechte gegenüber den Behörden durchsetzen können. Etwa 80 000 Rechtsberatungsfälle hat das Zentrum bisher schriftlich, telefonisch oder in persönlichen Treffen bearbeitet. Circa 3 000 Fälle hat der Verein vor verschiedenen Gerichten im ganzen Land kostenlos verhandelt, Frauen verteidigt, die sich ansonsten keinen Rechtsbeistand hätten leisten können. Das Beratungszentrum hat zahlreiche Hotlines geschaltet, die über Zeitschriften und das Internet beworben werden. Etwa 20 Anrufe gehen jeden Tag ein. Rund die Hälfte der Anrufer benötigt rechtliche Unterstützung. „Manchmal kommen Frauen auch direkt in unser Büro. Uns fehlen allerdings die Mittel, um jeden Fall zu bearbeiten. Wir können nur wenige auswählen”, erklärt Guo Jianmei. 

Einige dieser Fälle sorgen für Aufsehen, werden auch von der chinesischen Presse aufgegriffen.

So wie das Schicksal der jungen Frau Li aus der südöstlichen Provinz Anhui, die als Bittstellerin nach Peking kam und dort vergewaltigt wurde. Immer wieder reisen Chinesen in die Hauptstadt, um sich bei der Zentralregierung über Korruption und Willkür in ihren Heimatprovinzen zu beschweren. Dieses Petitionssystem hat Tradition und reicht bis in das Kaiserreich zurück. Doch die Provinzbehörden versuchen oft zu verhindern, dass die Regierung in Peking von den Beschwerden erfährt, weil diese zu schlechten Noten innerhalb des Bewertungssystems der KPCh führen. Deshalb fangen Beamte aus den Provinzen Bittsteller häufig direkt vor der zentralen Petitionsstelle in Peking ab, noch bevor sie ihr Anliegen vorbringen können. Gegen ihren Willen und häufig mit Gewalt werden Petitionäre in illegalen, so genannten schwarzen Gefängnissen eingesperrt. Per Bus werden sie dann später zurück in ihre Heimat gebracht, wo ihnen weitere Bestrafung droht. In einem dieser „schwarzen Gefängnisse“ in einem Vorort von Peking wurde die 21-jährige Li Ruirui von einem Sicherheitsmann vergewaltigt. Guo Jianmeis Zentrum hat den Fall vor Gericht gebracht und in erster Distanz gewonnen. Nun verhandeln sie noch über ein höheres Schmerzensgeld. Dieser Erfolg ist bedeutsam, denn bisher versuchen Behörden die Existenz dieser Abschiebegefängnisse zu leugnen.



Trotz oder gerade wegen solcher Erfolge ist die Arbeit des Beratungszentrums in der letzten Zeit schwieriger geworden. Im vergangenen Jahr kündigte die Pekinger Universität, die seit Gründung des Zentrums als Träger fungiert hatte, die Kooperation mit Guo Jianmeis Rechtsberatungszentrum auf. Als Grund vermutet die Anwältin „Druck von oben“. Die Fälle, die das Beratungszentrum verhandelt, seien der Regierung vermutlich zu brisant. Doch nicht nur auf das Studien- und Beratungszentrum für Frauen wächst der Druck, auch andere NGOs haben mit den Behörden zu kämpfen. Kooperationen mit Universitäten wurden beendet, die Regeln für die Annahme von ausländischen Spendengeldern verschärft. Mit diesen Maßnahmen wird die Arbeit von NGOs massiv behindert. Denn diese müssen in China theoretisch an eine Behörde angebunden sein. In der Praxis wird eine solche Registrierung aber fast nie erlaubt. Daher registrieren sich die meisten NGOs als Unternehmen. Das bedeutet aber, dass sie Spendengelder als Einnahmen versteuern müssen. So wird ihr Handlungsspielraum deutlich eingeschränkt. Im schlimmsten Fall nutzen Behörden diesen unklaren Status der NGOs, um sie mit fragwürdigen Steuerhinterziehungsvorwürfen zu überziehen, und sie handlungsunfähig zu machen oder ganz zu schließen.



Guo Jianmei lässt sich durch die Schikanen der Behörden nicht von ihrer Arbeit abbringen. Das Engagement von Bürgerrechtlern hält sie für wichtiger denn je. Für sie offenbart gerade der wirtschaftliche Aufstieg Chinas gesellschaftliche Ungerechtigkeiten. „Es gibt einfach noch viele Menschen, die zu wenig vom Aufschwung profitieren“, sagt die Anwältin. Besonders die Einkommensunterschiede zwischen Stadt- und Landbevölkerung seien gravierend. Ungerechtigkeiten und Korruption würden immer deutlicher zu Tage treten. Die Bevölkerung will das nicht mehr akzeptieren – denn diese wird sich laut Guo Jianmei ihrer Rechte immer bewusster. Für den Kampf gegen die Diskriminierung von Frauen hat Chinas ökonomischer Aufstieg mehr als eine Seite. Zum Einen arbeiten immer mehr Frauen in den Großstädten in Führungspositionen von Unternehmen, erlangen insgesamt eine größere finanzielle Unabhängigkeit und haben immer bessere Bildungschancen. So ist an zahlreichen Universitäten Chinas die Zahl an weiblichen Studienanfängern im vergangenen Jahr das erste Mal höher gewesen als die von Männern. Gleichzeitig bringt der Aufschwung aber auch Probleme. „In den Metropolen steigt besonders die Zahl sexueller Belästigungen am Arbeitsplatz“, sagt Guo Jianmei. 
Vor allem auf dem Land haben Frauen noch mit Vorurteilen und Diskriminierungen zu kämpfen, die häufig auch finanzielle Folgen haben –, wie zum Beispiel bei der Enteignung von Grundstücken. Im Zuge der Urbanisierung benötigt die chinesische Regierung immer mehr Flächen für Bauvorhaben. Dafür werden ganze Dörfer abgerissen. Obwohl Land im Kollektivbesitz der Dorfgemeinschaft ist, werden Frauen von den lokalen Verantwortlichen oft um ihre Entschädigung gebracht. Gerade Frauen, die in ein anderes Dorf geheiratet haben,  geschiedene Frauen oder Witwen werden bei der Verteilung der Entschädigungssummer einfach nicht berücksichtigt. Guo Jianmeis Rechtsberatungszentrum nimmt sich solcher Landrechtsfälle an.


Wenn Männer als Wanderarbeiter in die Großstädte ziehen, bleiben Frauen mit ihren Kindern allein im Dorf zurück und werden Opfer von Belästigungen und Übergriffen. Richter und Polizeibeamte sind meist Männer, die nicht auf den Umgang mit solchen Fällen vorbereitet wurden und die Situation für die Opfer noch schlimmer machen“,  berichtet Guo Jianmei. Ihre Organisation bietet Trainingskurse für Polizei und Justizbehörden in den ländlichen Regionen an, wie man in Fällen von Vergewaltigung und  häuslicher Gewalt vorgehen sollte. „Dabei beobachten wir, wie Polizisten oder Richter zum ersten Mal verstehen welche Rolle sie selber spielen", so Guo. Davor hätten die meisten Männer darüber nie nachgedacht.



„Häufig gelten Frauen in China immer noch als schwach - selbst jetzt im 21. Jahrhundert", sagt die Anwältin. Dies zu ändern hat sie sich zur Aufgabe gemacht. „Man wird in diese Arbeit hineingezogen und geht in ihr auf, bis man einfach nichts anderes mehr machen kann und möchte“, sagt Guo Jianmei. Und vielleicht ist dies dann doch die eine kurze Antwort, der eine Satz, der beschreibt, wie der Kampf für die Rechte von Frauen ihr Leben geworden ist.

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